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Seminarbesprechung

Donnerschlag mit langem Nachhall

Seminarbesprechung von Steffen Opp

Zugegeben! Als ehemaliger Honorardozent in der Erwachsenenbildung besuche ich mit einer gewissen Grundfaszination die fachlich breit aufgestellten und kontinuierlich angebotenen Weiterbildungsveranstaltungen der IngK M-V. Vordergründig interessieren mich natürlich berufsbedingt die jeweiligen fachspezifischen Vorträge und Seminare. Und es lässt sich nicht leugnen, dass mich jedes Mal eine Art kindliche Neugierde begleitet, wie die Vortragenden heute ihr Publikum für ihre Fachvorträge begeistern und welche Interpretationen die fachlich herausgearbeiteten Aspekte auf unser ingenieurtechnisches Wirken zulassen.

Am 09. Mai 2022 war es wieder so weit. Die IngK M-V lud zu dem Seminar Schallschutz im Hochbau ein. Prof. Dr.-Ing. A. Schmitz führte seine Zuhörerschaft einen Tag lang in die Tiefen der Bau- und Raumakustik ein. Es durfte also ein Seminar zum Hören im doppelten Sinne erwartet werden. Vielleicht nicht laut, aber zumindest klangfreudig.

Während die Tragwerksplanung, die Energiebedarfs- und Energieverbrauchsberechnungen sowie der Bereich des baulichen und baukonstruktiven Brandschutzes mit zahlreichen linearen und nichtlinearen rechnerischen Zusammenhängen für uns Ingenieure aufwartet, sind in der Akustik logarithmisch hinterlegte Kenngrößen an der Tagesordnung, was diese Thematik m. E. etwas schwieriger verständlich macht. Deutlich wird das in folgendem Zusammenhang: soll ein Geräusch, dessen Stärke dem Grunde nach immer subjektiv empfunden wird, um 3 dB gemindert werden, ist die Intensität der Schallquelle zu halbieren. Wird die Intensität der Schallquelle um 9/10 reduziert, lässt sich eine Pegeldifferenz von 10 dB erwarten.

 

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Prof. Dr.-Ing. Alfred Schmitz

Objektiv ist dieser Zusammenhang für uns Ingenieure, die wir jeden Tag berufsbedingt mit Zahlen arbeiten, sehr gut fassbar, doch ist er uns auch sinnlich bewusst, ist er sozusagen „plastisch greifbar“? Der gesunde menschliche Hörsinn ist in der Lage, Geräusche im Frequenzbereich zwischen 20… 20.000 Hz zu unterscheiden. Zur Einhaltung der Anforderungen an den Schallschutz begrenzen wir die Lautstärke eines klar definierten Frequenzbereiches, also den Schalldruckpegel mit dem die Schallwellen das Trommelfell anregen.  

Sollte der Tragwerksplaner nicht die vollumfängliche Baukonstruktion als räumliches „Lastmodell“ vor Augen haben, die Last/ Kraft „fühlen“, sie so einordnen und dementsprechend bewerten können? Muss der Energieeffizienzexperte nicht die baukonstruktive Wärmebrücke „erahnen“ können, damit sie mit den Ergebnissen der Berechnung korreliert werden kann? Sollte der Brandschutzplaner nicht in imaginärer Weise auf der Basis seiner räumlichen Vorstellungskraft das Bauwerk im „Brandfall“ durchwandern und es so entsprechend präventiv durch bauliche und technische Schutzmaßnahmen konzipieren? Erwächst nicht aus dieser inneren Bewertung in Verbindung mit dem rechnerischen Hintergrund die nötige ingenieurtechnische Erfahrung? Ist schlussendlich nicht nur so eine glaubhafte reale Bewertung eines technischen Problems möglich?

Ich muss also hören können, wie sich Pegelveränderungen um 1 dB, 3 dB oder 10 dB anhören, damit ich verstehen und vor allem ingenieurtechnisch bewerten kann, was eine normativ um 1… 3 dB höhere Schallschutzanforderung aussagt und wie ich mit dieser Anforderung in der Bauteildurchbildung und den so wichtigen Flanken umgehe, oder?

In der heutigen, gesundheitlich empfindsamen Zeit sind die Fragen und Zusammenhänge des Schallschutzes für die Architekten und Bauingenieure gleichermaßen von wachsender Bedeutung. Wer am 09. Mai 2022 den erfrischenden und in wunderbarer Weise baupraktisch untermalten Ausführungen von Prof. Dr.-Ing. A. Schmitz lauschen und seinen experimentellen Vorführungen zuhören durfte, war fern der langen Weile und sicher, auf die brennenden Fragen des Schallschutzes im Hochbau eine klare, nachhaltige und eindrückliche Antwort zu bekommen:

Wie lassen sich bestehende Holzbalkendecken so ertüchtigen, dass sie den normativen Schallschutzstufen entsprechen? Ist das überhaupt möglich? Müssen Aufzugschachtwände wirklich 30 cm und stärker in Massivbauweise ausgeführt werden, wenn sich der schutzbedürftige Raum direkt daneben befindet? Muss man einen schutzbedürftigen Raum direkt neben dem Aufzugsschacht planen? Warum sollten leichte Treppen nicht an Trennwänden rückverankert werden? Wie geht überhaupt echter Körperschallschutz?

Akustischer Überraschungseffekt 

Die kleinen eindrücklichen Experimente und Vorführungen, mit denen Prof. Dr.-Ing. A. Schmitz seine Zuhörer fesselte, waren so einfach wie beeindruckend zugleich. Sie verfehlten ihren akustischen Überraschungseffekt nicht, wenn durch Körperschallübertragung, Resonanzanregung, Schwingung und Luftschall eine simple Tischplatte oder eine Fensterverglasung zu einem vielfach lauteren „Musikinstrument“ wurden. Mit solchen Eindrücken ahnen die IngenieurInnen, wie wohl Hochlochsteine mit dünnen Stegen und diversen Luftkammern auf Körperschall reagieren.

Erstaunt hat mich insbesondere der Fakt, dass die normativen Schallschutzziele lediglich auf einen Teil der hörbaren Frequenzen abzielen (etwa 100… 4 kHz), die niedrigen Frequenzen also weniger von Interesse, baukonstruktiv nur äußerst schwierig und meist kostenintensiv umzusetzen sind. Um es mit den Worten von Prof. Dr.-Ing. A. Schmitz zu sagen: „Dumm-dumm-Geräusche sind hörbar zulässig bzw. bautechnisch fast nicht vermeidbar. Hören Sie hingegen Tak-tak-Geräusche, stimmt wahrscheinlich etwas mit der schalldämmenden Konstruktion nicht.“    

Betrachtet man allein die Nachweisführung, ist allseits bekannt: Masse dämmt den Luftschall. Vermutlich werden deshalb derzeit immer höhere Eigenmassen und größere Querschnittabmessungen einzelner schalldämmender Bauteile errechnet. Dabei existieren, glaubt man den eindringlichen Erklärungen Prof. Schmitz‘, eine Vielzahl von Stellmechanismen, die einen intelligenten Schallschutz möglich machen. Erst wenn wir interdisziplinär die entwurfstechnischen, die baulichen und die technischen Möglichkeiten wirklich umfassend nutzen w o l l e n, wird offenbar, wie komplex das Ineinandergreifen der für einen ganzheitlich gelungenen Bauwerksentwurf essenziellen Fachgebiete, wie die Tragwerksplanung, die Bauphysik und den Brandschutz zu verstehen sind.

Deutlich wird dies an einem einfachen Beispiel: Während der Tragwerksplaner für den gesicherten Lastabtrag tendenziell eine eher massive, schwere Wand mit hoher Rohdichte konzipiert und dieser Umstand sehr wahrscheinlich auch dem bautechnischen Schallschutz zugutekommt, wird der Energieeffizienzexperte von einer hohen Rohdichte der Außenwand und dem damit verbundenen hohen Transmissionsverlust nicht begeistert sein. Andersherum gesehen, werden baustofflich „leichte“ Flanken den baukonstruktiven Schallschutz einer verhältnismäßig schweren Trennwand wegen der „besseren“ Flankenwegübertragung deutlich verschlechtern, womit dann der Nachweisführende zum vermeintlich „letzten“ Mittel greift und die Trennwand massenreicher durchbildet. Was wiederum den Architekten und den Tragwerksplaner „aufbringt“ und hoffentlich zu der Erkenntnis führt, dass wir Ingenieure uns vielleicht doch wieder verstärkt in den frühen Planungsphasen mit den Architekten unterhalten sollten – und natürlich gilt das auch in die entgegengesetzte Richtung. Wir, an der Planung Beteiligte müssen gemeinsam zielorientiert für die geschuldete Nutzungsqualität des planerischen Entwurfes tätig werden! Mit Beginn der Bearbeitung der Leistungsphase 1 sind sowohl bauakustische, bauphysikalische und tragwerksplanerische Herausforderungen nicht nur rechnerisch, sondern eben auch
e n t w u r f s p l a n e r i s c h lösbar.

Fazit: Ein starker, nachhaltiger Seminartag! Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr.-Ing. A. Schmitz und dem Weiterbildungsteam der IngK M-V. Bitte mehr davon!